X Capitals
Über die Bereicherung durch das Fremde
Ein Photographie- und Sound Art Projekt
in 21 Motiven in 18 Städten
von Henry Landers
Die 21 Motivbezeichnungen sind imperative Thesen im Sloterdijk'schen Sinne der vertikalen Spannung, die zugleich als aktualisierende Fragestellungen in den Raum gestellt werden.
Die für das Projekt ausgewählten Städte sind keinneswegs nur Hauptstädte, wie es der Titel vermuten ließe. Viel mehr geht es um die spielerische Auslegung des englischen Begriffs in seinen zwei Deutungsebenen. Das meint Städte, die wie ein Kapitell (engl. Capital) von der Säule ihrer Region getragen werden.
Photographien: in den Ausstellungen sind als großformatige Rollbilder zu sehen. Das flexible Material erinnert an die Stoffkunst der nomadischen und orientalischen Völker. Die Rollbilder sind daher ein idealer transmediterraner Brückenschlag zwischen den Menschen in Europa, Asien, des Nahen Osten und Nordafrikas.
Material der Rollbilder:
Pigment Print, Holz, s/w Bilder, Muster, Paprolle, Seidenband
Die Fotografie-Technik ...»»
X CAPITALS Das Grundkonzept weiterlesen ...»»
Die Konzeptkunstreihe X Capitals greift die globale urbane Dynamik auf und reflektiert sie in einem Wertediskurs über Demokratie, Freiheit, Bildung, Religion und Familie. "X Capitas" ist eine Expedition auf der Suche nach einem neuen Kontinent in der Vorstellbarkeit von Wahrnehmung und zugleich ist es eine globale soziologische Feldstudie in städtischen Lebensraum der letzten noch lebenden Population des Homo Sapiens. Das inhaltliche Grundkonzept und das Ausstellungskonzept von X Capitals ist eine Konstante, die der rote Faden ist, an dem sich alle Projekte dieser Serie ausrichten. Der Projekttitel ist zweiteilig. X Capitals definiert darin die Konstante von 22 Motiven einer speziellen Technik der s/w-Photographie, der für das Projekt adaptierten Rollbildtechnik im traditionellen japanischen Stil und der dreiteiligen tragenden Philosophie.
In der Konzeptkunstreihe entstanden drei Projekte, an denen insgesamt 18 Städte weltweit teilnahmen.
1. Projekt: X Capitals Berlin (Städtepartner von Berlin): Beijing, Berlin, Jakarta, Paris und Tokio.
2. Projekt: X Capitals Europa (EU-Mitglieder): Berlin, Budapest, Helsinki, Ljubljana, Nikosia, Riga, Tallinn, Valletta, Warschau und Wien. X Capitals Europa wurde im März 2008 in einer fulminanten Ausstellung im Lichthof des Auswärtigen Amts in Berlin als Gastausstellung gezeigt.
3. Projekt: X Capitals Exit: Tel Aviv-Jaffa, Ramallah, Damaskus, Ammann
Darüber hinaus, ist X Capitals aber nicht nur eine Reihe von Städteporträts im geläufigen Sinne. Hinter den Photographien stehen die schon erwähnten drei philosophischen Ebenen, die komplexe und neue Ansätze geben, mit dem Medium Photographie zu arbeiten. ◊ Die erste Ebene: Die Photographie– Technik ist inspiriert von einer Disziplin in der Elementarphysik, der Superstring- (M) Theorie. Hier wird u.a. die Metapher eines diskreten Zustandes von werdender Realität reflektiert, der eine 11-dimensionale "Körnigkeit" aufweist, ähnlich einem Mosaik, aus dem bei größer werdender Distanz ein Bild entsteht. Dies ist auch die Matrix in meinen Bildern, aus der eine nicht vollendete Realität und wie ich es sehe, eine Vorahnung von Zukunft in der Photographie abgebildet wird. ◊ Die zweite Ebene: Die Ausstellungsgestaltung ist quasi ein Gegenbild zum Babylonischen Gleichnis und will viele Kulturen und Sprachen auf einen Punkt vereinigen. ◊ Die dritte Ebene sucht die Erkenntnis, das Neue. Sie wird im Gedanken von Leon Eisenberg (Harvard Medical School) gespiegelt, der die soziale Konstruktion neuronaler Strukturen im menschlichen Gehirn beschreibt. Das X Capitals-Konzept ist eine Art Werkzeug zum Knüpfen interkultureller, sozialer Beziehungen, um sie für den Betrachter in Ausstellungen sichtbar und emotional zugänglich zu machen. X Capitals reflektiert das instabile Paar der sinnlich befriedigenden und individuellen Attraktionen; Krieg und Frieden auf unterschiedlichen psychologischen und sozialen Ebenen. Mit X Capitals unternehme ich den Versuch das unerfüllte Paar um eine dritte stabilisierende Position von Wahrnehmung zu bereichern, die ich Die dritte Entsprechung nenne. Sehr lebendig schildert der Film Am Anfang war das Feuer, von Jean-Jacques Arnaud modellhaft einen ähnlichen Weg, eine neue sinnliche Attraktion zu finden, der mich in weiten Teilen zu der X Capitals-Projektreihe inspirierte. Über "Die dritte Entsprechung" lässt sich heute, nach annähernd 10 Jahren Arbeit an dem Thema, so viel sagen. Es steht mit dem kultivieren von Emotionen in Verbindung, ähnlich wie wir es von der Sprache kennen, die über viele Lebensphasen und Ausdrucksformen zu ihrer Höchstform heranwächst.
1. Ebene: DAS AUSSTELLUNGSKONZEPT
In zwei Reihen übereinander, etwa fünf Meter hoch und 12 Meter lang sind die Gassen, denen die Besucher in der Ausstellung begegnen. Kürzlich war ich in Mdina, einer sehr gut erhaltenen mittelalterlichen, christlich geprägten Stadt auf Malta. In den engen Gassen erlebte ich den selben Effekt, den ich für die Präsentation der Bilder suchte. Wie Fenster, geben die Bilder den Blick in ferne nahe Welten frei. In den Häusern der alten engen Gassen gaben Fenster in zwei Reihen übereinander Blicke frei oder verbargen die Einsicht. Wenn sie das hinter ihnen Verborgene zeigten, begegnete der Passant Räumen, Familien, Schicksalen, Lebensgewohnheiten und schließlich der intimen Privatsphäre des Einzelnen. Auf die gleiche Weise, als Passant, als Besucher und zugleich als Teil des Ganzen, kann der Betrachter der Ausstellung von X Capitals den unterschiedlichen Kulturen, Religionen und Nationalitäten begegnen. Die 22 Motive reflektieren diese Vielfältigkeit und werden jeweils in Reihen nebeneinander hängen. Das sind die 10 Bürgermeister/in nebeneinander, die Symbole für Freiheit, die traditionellen Hochzeiten ... . Auf diese Art können die Besucher in Ausstellungen ihre Heimatstadt unter dem Kontext der anderen porträtierten Städte sehen sowie Vertrautes und Neues im Anderen entdecken. Die Übersprachlichkeit von Bild und Ton hilft dabei mühelos Sprachbarrieren zu überwinden. Anders als ähnliche Themen von Medien wie TV und Zeitungen behandelt werden, soll in X Capitals ein Schwerpunkt auf die Gleichzeitigkeit, kontinuierliche Präsenz und das Nebeneinander von Themen gelegt werden.
2. Ebene: DIE BILDTECHNIK
Es handelt sich um eine spezielle, von mir entwickelte s/w-Bildtechnik. Ein Aspekt darin ist die Reduktion. Es gelingt mir damit, mich sowohl weitestgehend von technischem Ballast zu befreien, als auch eine unmittelbarere Verbindung zur photographierten Realität zu finden. Mein Aufnahme-Equipment besteht aus einer manuellen Nikon FA, einem 24mm Objektiv sowie einem hoch empfindlichen s/w-Film, der es ermöglicht, ausschließlich mit authentischem Licht zu arbeiten. In einem Zwischenschritt entsteht eine Original-Photographie auf speziellem Papier, Filterung bei der Vergrößerung und eigens abgestimmten Entwicklungs- und Belichtungswerten. Am konsequentesten wirkt meine Art der Photographie dort, wo der Eindruck von Transzendenz entsteht. Licht durchdringt das Schwarz aus der Tiefe heraus, so wie Wasser einen Schwamm von unten her durchdringt und an seiner Oberfläche ein Bild abzeichnet.
Aus den Analog-Fotografien werden Rollbilder.
Umrandet werden die Bilder mit eigens für die 22 Serien entwickelten Musterfonds, die zusammen mit dem Bild direkt als Fine Art Print auf das Trägermedium gedruckt werden. Als universelles Dersign-Element verwende ich mein HL-Logo. Inspiriert sind die Farben und Formen von der Mangaästhetik, der Pop Art und von antiken Einflüssen.
Die Photographie ist jetzt in fliesende Folie transformiert. Muster, Kunststoff, Tinte, stabilisierendes Holz und die Kartonrolle geben dem Bild eine dreidimensionale, offene Material- und Formstruktur. Sie entblößt die Photographie und verleiht dem Bild eine fließende, intime Anmutung, die der Welt und ihren Ereignissen schutzlos ausgeliefert ist. Es findet sich die fließende Struktur und die informelle Materialität nomadisch lebender Kulturen in den Rollbildern wieder.
Die Bildkörnung ist ein weiterer Aspekt in der Technik, die einer Matrix gleich, als unvollendete Oberfläche den entstehenden Formen erste Gestalt verleiht. In der Körnung vereint sich eine inhaltliche sowie ästhetische Funktionalität mit dem Ziel, unsere erfahrene Alltagsrealität zu hinterfragen. Dem lege ich meine vielleicht gewagt erscheinende These über Realität zu Grunde. Ich gehe davon aus, dass Realität eine pulsierende Erscheinung ist. Stark vereinfacht beschrieben, entsteht mit jedem Impuls eine neue Sequenz von Realität. Sie erreicht den Punkt der höchsten Vollendung und vergeht, eine neue Realitätssequenz folgt usw.. In der Superstringtheorie und dem Wissen um die Vorstellung von 11- dimensionalen Raum-Mannigfaltigkeiten fand ich Inspiration und eine wissenschaftliche Fundierung dieser Gedanken. Ich suche in meinen Bildern den Moment zu photographieren, in dem der vorhergehende Impuls von Realität vergangen war und die neu entstehende Form noch nicht vollständig ausformuliert ist. Oberflächen sind noch nicht geschlossen, Schärfen noch nicht vollendet, Farben werden sich erst entwickeln und es scheint, als ob der Blick noch frei wäre, hinter die Maske der Realität zu schauen. Ich suche nach der Ahnung dessen, wie die kommende sich vollendende Realität aussehen könnte. Ich suche in meinen Photographien eine Vorahnung von Zukunft sichtbar zu machen.